Parkinson & Politik — Evidenzgenerierung zur Behandlung von Morbus Parkinson

Antwort der Bundesregierung

auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Helling-Plahr, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 19/19893 –


Evidenzgenerierung zur Behandlung von Morbus Parkinson (Drucksache 19/20450 v. 29.06.2020)

– Vorabfassung – wird durch die lektorierte Version ersetzt.

 

V o r b e m e r k u n g  d e r  F r a g e s t e l l e r

 
Die Parkinson-Krankheit zählt zu den am häufigsten auftretenden neurodegenerativen Erkrankungen. Laut der gegenwärtigen S3-Leitlinie „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sind rund 220 000 Menschen in Deutschland daran erkrankt (https://www.dgn.org/images/red_leitlinien/LL_2016 S3LL_iPD_Kurzfassung_2016.pdf). Die Deutsche Parkinson Vereinigung schätzt die Zahl der Betroffenen sogar auf rund 450 000.

Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung nehmen die Fallzahlen weltweit und in Deutschland laut der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen kontinuierlich zu und jährlich erliegen hierzulande rund 7 000 meist ältere Menschen den Folgen der Krankheit (https://www.parkinson-gesellschaft.de/die-dpg/morbus-parkinson.html). Eine Therapie muss nach erfolgter Diagnose rechtzeitig und effizient beginnen und individuell sowohl auf das Alter und die Erkrankungsdauer als auch die soziale Situation des Patienten Rücksicht nehmen. Dabei ist es zum einen wichtig, die eigenständige Alltagsbewältigung im vertrauten Umfeld zu ermöglichen, sekundären orthopädischen und internistischen Begleiterkrankungen vorzubeugen und letztendlich eine Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Zum anderen kommt einer evidenzbasierten, für jeden Einzelfall optimierten medikamentösen Therapie eine Schlüsselrolle im Rahmen der Behandlung der Krankheit zu. Die medikamentöse Einstellung muss im fortgeschrittenen Stadium häufig stationär erfolgen und wird mit fortschreitendem Verlauf zumeist in immer kürzeren Zeitabständen notwendig, da die Erkrankung mit der Zeit auch den Magen-Darm-Trakt und damit die Resorption der Medikamente zunehmend beeinträchtigt.


Aus neurologischen Kreisen und Betroffenenverbänden sind daher Appelle zu vernehmen, Kombinationsmedikationen so lange exakt beizubehalten, bis das Fortschreiten der Erkrankung eine Neueinstellung notwendig macht (https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/94708/Neurologen-und-Patienten-warnen-vor-Fehlmedikation-durch-Aut-idem-Regelung-bei-Parkinson; https://www.parkinson-vereinigung.de/attachment/1056/download/expertenpapier.pdf). Aus Sicht der Fragesteller ist es im Sinne der betroffenen Patienten förderlich, diesbezüglich auf eine verstärkte Evidenzgenerierung unter Beteiligung der Betroffenenverbände und Fachgesellschaften hinzuwirken.

 

V o r b e m e r k u n g  d e r  B u n d e s r e g i e r u n g

 

Für die Versorgung von gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot. Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Bei der Abgabe verordneter Arzneimittel an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind die Apotheken grundsätzlich verpflichtet, ein geeignetes preisgünstiges Arzneimittel abzugeben. Die Austauschverpflichtung der Apotheke entfällt, wenn der Arzt oder die Ärztin die Ersetzung des Arzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel aus medizinischen Gründen ausgeschlossen hat.


Der Gesetzgeber hat dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Aufgabe übertragen, in seinen Arzneimittelrichtlinien solche Arzneimittel zu benennen, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Apotheke grundsätzlich ausgeschlossen sein soll (§ 129 Absatz 1a Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)). Darüber hinaus vereinbaren die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen zur Wirtschaftlichkeit der Versorgung. Dabei können die Vertragspartner auch Praxisbesonderheiten für Arzneimittelverordnungen bei Morbus Parkinson festlegen.


1. Sind von Betroffenen- und Fachverbänden im Versorgungsalltag auftretende Probleme bei der Behandlung von Parkinson an die Bundesregierung herangetragen worden?
Wenn ja, welche?


Der Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. (dPV) hat sich 2017 mit dem Hinweis an die Bundesregierung gewandt, dass die ambulante neurologische Versorgung von Parkinson-Patienten und Parkinson-Patientinnen insbesondere in ländlichen Regionen nicht ausreichend sei. Sie hat in erster Linie von Problemen hinsichtlich der Wartezeiten und der Distanzen berichtet, die Parkinson-Patienten und Parkinson-Patientinnen auf sich nehmen müssen, um einen auf Parkinsonerkrankungen spezialisierten Neurologen zu erreichen.
Darüber hinaus sind Betroffenen- und Fachverbände mit dem Wunsch an die Bundesregierung herangetreten, eine Ausnahmeregelung bezüglich des Austausches wirkstoffgleicher Arzneimittel zur Behandlung von Morbus Parkinson in der Apotheke zu schaffen.


Aktuell steht das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Austausch mit einer Stiftung, die von Betroffenen gegründet wurde und deren Ziele eine verstärkte Therapieentwicklung gegen die Parkinson-Erkrankung ist.

2. Hat die Bundesregierung diesbezüglich gegenüber den Betroffenen- und Fachverbänden Stellung genommen?
Wenn ja, wie hat sich die Bundesregierung positioniert, und warum?

Das BMG hat Gespräche mit den Patientengruppen auch unter Beteiligung von wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften und medizinischen Expertinnen und medizinischen Experten zur Erörterung der berichteten Probleme geführt. Die Bundesregierung hat bezüglich der ambulanten ärztlichen Versorgung darauf hingewiesen, dass deren Sicherstellung den KVen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) obliegt. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass nach den Daten der KBV die Versorgungssituation im Bereich der
Nervenärztinnen und Nervenärzte bedarfsplanungsrechtlich insgesamt als gut bezeichnet werden kann. Hinsichtlich der Wartezeiten wurde darauf hingewiesen, dass das Thema durch den Gesetzgeber bereits aufgegriffen und verschiedene gesetzliche Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden, um eine zeitnahe Versorgung der Versicherten sicherzustellen.


Bezüglich einer Ausnahmeregelung beim Austausch von Arzneimitteln zur Behandlung des Morbus Parkinson in der Apotheke hat die Bundesregierung auf die Zuständigkeit des G-BA verwiesen. Um den medizinisch-therapeutischen Besonderheiten bestimmter Arzneimittel bzw. Wirkstoffe Rechnung zu tragen, ist in § 129 Absatz 1a SGB V geregelt, dass der G-BA in der Arzneimittel-Richtlinie, Anlage VII Teil B, bestimmt, welche Arzneimittel von der Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgeschlossen sind (sogenannte Substitutionsausschlussliste). Die Aufnahme von Arzneimitteln zur Behandlung des Morbus Parkinson in die Substitutionsausschlussliste wurde abgelehnt, da die Kriterien zur Aufnahme (Arzneimittel mit geringer therapeutischer Breite) als nicht erfüllt angesehen wurden.


3. Sind gegenüber der Bundesregierung Probleme bezüglich der Auti-dem-Regelung von einzelnen Patientengruppen beklagt worden?
Wenn ja, um welche Patientengruppen handelt es sich dabei?


Zu dieser Fragestellung haben sich die dPV und die Parkinson-Selbsthilfegruppe „Wasgau“ an das BMG gewandt.

4. Hat die Bundesregierung Anstrengungen unternommen, den in Frage 3 genannten Patientengruppen zu helfen beziehungsweise entgegenzukommen?
Wenn ja, auf welche Weise?


Es wird auf die Antwort auf Frage 2 und die Zuständigkeit der Selbstverwaltung verwiesen. Die Bundesregierung hält die derzeitigen Regelungen nach § 129 Absatz 1a SGB V für hinreichend.


5. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, wie häufig Ärzte von der Möglichkeit, die Auti-dem-Regelung im Einzelfall explizit auszuschließen, Gebrauch machen?


a) Sind einzelne Patientengruppen hiervon besonders häufig betroffen?
b) Wie häufig wird bei Parkinson-Patienten davon Gebrauch gemacht?


Nach Kenntnis der Bundesregierung machten im Jahr 2019 Ärztinnen und Ärzte bei verschiedenen Arzneimittelgruppen unterschiedlich häufig von der Möglichkeit Gebrauch, die Aut-idem-Ersetzung auszuschließen. Nach konservativer Schätzung (bezogen auf die verordneten Packungen) sind insbesondere Schilddrüsentherapeutika (23 % Häufigkeit), Immunsuppressiva (22 % Häufigkeit), Antiparkinsonmittel (19 % Häufigkeit), Hypophysen- und Hypothalamushormone und Analoga (17 % Häufigkeit), Antiepileptika (16 % Häufigkeit) und Immunstimulantien (15 % Häufigkeit) von der Aut-idem-Ersetzung ausgeschlossen worden (Quelle: GKV-Spitzenverband).

Rückschlüsse auf bestimmte Patientengruppen sind nicht möglich. Insbesondere bei den Schilddrüsentherapeutika, einigen Immunsuppressiva und Antiepileptika ist eine automatische Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel in der Apotheke bereits durch die Regelungen der Substitutionsausschlussliste (Anlage VII Teil B der Arzneimittel-Richtlinie) ausgeschlossen.


Die Daten zu Aut-idem-Ausschlüssen erlauben jedoch nur eine Schätzung der Häufigkeit, da eine exakte Zuordnung der in den Daten übermittelten Aut-idem-Kennzeichnung zu einem bestimmten Arzneimittel nicht in jedem Fall möglich ist, sofern auf einem Rezept mehrere Arzneimittel verordnet sind. Zudem macht es Unterschiede, ob Packungen oder Rezeptzeile ausgewertet werden.


6. Welchen finanziellen Effekt hätte nach Kenntnis der Bundesregierung eine generelle Aussetzung der Aut-idem-Regelung auf die Kostenträger der gesetzlichen Krankenversicherung?


7. Welchen finanziellen Effekt hätte nach Kenntnis der Bundesregierung eine Aussetzung der Aut-idem-Regelung für Parkinson-Patienten auf die Kostenträger der gesetzlichen Krankenversicherung?


8. Wie würden nach Kenntnis der Bundesregierung die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung durch die in den Fragen 6 und 7 beschriebenen Szenarien jeweils beeinflusst?


9. Liegen der Bundesregierung Informationen zu Folgekosten vor, die aufgrund auftretender medizinischer Probleme infolge der Anwendung der Aut-idem-Regelung bei Parkinson-Patienten angefallen sind?
Wenn ja, welche?


Der Bundesregierung liegen zu den Fragen 6 bis 9 keine Erkenntnisse vor.


10. Welche Möglichkeiten bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung für Betroffenen- und Fachverbände, die der Auffassung sind, dass die Aut-idem-Regelung für einzelne Krankheitsbilder ausgesetzt werden sollte, um ihre Forderung fachlich zu untermauern?

a) Wie können sie zu diesbezüglicher evidenzgenerierender Forschung beitragen?
b) Welche Finanzierungsmöglichkeiten stehen dafür zur Verfügung?


Gemäß § 129 Absatz 1a Satz 2 SGB V ist der G-BA beauftragt, Arzneimittel zu bestimmen, bei denen die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ausgeschlossen ist. Er soll überprüfen, welche Auswirkungen seine Entscheidungen haben und begründeten Hinweisen nachgehen, dass seine Entscheidungen nicht mehr mit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse übereinstimmen. Die Bundesregierung weist darauf hin, dass die Ausnahmeregelungen nach § 129 Absatz 1a Satz 2 SGB V sich nicht auf Indikationen oder Krankheitsbilder, sondern auf Wirkstoffe beziehen. Zur Erzeugung evidenzgenerierender Forschung und deren Finanzierung können sich die Betroffen- und Fachverbände u. a. an die pharmazeutischen Unternehmer wenden. Bundesmittel zur Finanzierung derartiger Forschung sind derzeit nicht vorgesehen.

11. Inwiefern findet eine Aufklärung der Bevölkerung zur Aut-idem-Regelung durch die Bundesregierung statt?
Sieht die Bundesregierung eine Notwendigkeit, verstärkt aufklärend tätig zu werden (bitte begründen)?


Die Aut-idem-Regelung wurde bereits im Jahr 2002 mit dem Gesetz zur Begrenzung der Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt. Ärzteschaft, Krankenkassen und Apotheken informieren regelmäßig über die Aut-idem-Regelung. Daneben gibt es allgemein zugängliche Informationen, die u. a. der G-BA auf seiner Internetseite zur Verfügung stellt. Auch das BMG stellt auf seiner Internetseite Informationen zur Aut-idem-Regelung zur Verfügung. Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit für darüber hinausgehende Informationsangebote.

 

 

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