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Im Verlauf eines Morbus Parkinson kommt es häufig zu Fluktuation oder Dyskinesien, die durch orale oder transkutane Medikamentengabe alleine nicht mehr beherrschbar sind. Eine neue europäische Leitlinie beurteilt die zur Verfügung stehenden invasiven Interventionen.
Die Behandlung der Parkinson-Erkrankung erfolgt direkt nach Diagnosestellung zunächst über Jahre mit Medikamenten. Wenn aber der Degenerationsprozess der Neurone der Substantia nigra so weit fortgeschritten ist, dass nur noch zu wenige Dopamin-Terminalen übrig sind, kommt es zu sogenannten Dyskinesien oder Fluktuationen, einem raschen Wechsel der Beweglichkeit zwischen Steifigkeitsphasen und beweglichen Phasen, in denen die Patienten oft belästigende Überbewegungen haben. Dies ist für die Kranken extrem belastend. Nach heutiger Vorstellung entsteht dies, weil die „Speicherkapazität“ der Terminalen zu gering wird, die verbleibenden Dopaminrezeptoren den intermittierend auftretenden Spitzenkonzentrationen von Dopaminergika schutzlos ausgesetzt sind und damit überempfindlich für das medikamentös verabreichte L-Dopa werden. In dieser typischen klinischen Situation und einigen weiteren besonderen Fällen werden heute neurochirurgische Behandlungen oder Pumpentherapien eingesetzt. Diese Interventionen sind zum Teil schon seit Jahrzehnten bekannt, aber nur zumTeil ausreichend durch Studien belegt. Bislang hat keine Leitlinie all diese Verfahren unter einheitlichem Blickwinkel beurteilt. Die European Academy of Neurology (EAN) zusammen mit der Europäischen Sektion der Movement Disorder Society (MDS-ES) hat nun eine Leitlinie nach GRADE-Standards (Grading of Recommendations, Assessment, Development, and Evaluation) erarbeitet, die soeben erschienen ist (1).
Die Methoden der Behandlung werden immer differenzierter: Mitte des letzten Jahrhunderts wurde die Radiofrequenz-Thermokoagulation der tiefen Kerne des Gehirns eingeführt (2). Eine starre Elektrode wird dazu stereotaktisch bis zum Zielgebiet vorgeschoben; dann wird die Elektrodenspitze auf circa 70 °C erhitzt (RF-Thermokoagulation). Das umgebende Gewebe wird damit zerstört. Die Korrektheit des Zielgebietes kann vorher durch elektrische Stimulation der Elektrode getestet werden. Bei der Radiotherapie wird das Zielgebiet stereotaktisch mit fokussierter Gammastrahlung bestrahlt und es kommt in den folgenden Tagen und Wochen zu einer langsamen Zerstörung der Zielregion (3). Ob das Zielgebiet exakt getroffen wird, kann vorher nicht geprüft werden. Erst seit wenigen Jahren gibt es die unter kernspintomografischer Kontrolle applizierte fokussierte Ultraschallbehandlung (MRT-gesteuerter fokussierter Ultraschall, FUS) (4), die durch Fokussierung von 1024 Ultraschallsendern, die um den Kopf angeordnet sind, dosiert die Temperatur in einem vorbestimmten Hirnareal auf 50° oder sogar über 60° erhöhen kann und damit eine Läsion erzeugt. Bei Temperaturen unter 50° kommt es zu einem reversiblen Funktionsausfall des Zielgebietes, so dass damit Wirkung und Nebenwirkung der Behandlung vor endgültiger Koagulation geprüft werden kann. All diese Verfahren gehen mit einer geplanten Gewebszerstörung in einem definiertenAreal einher und werden daher als läsionell bezeichnet.
Tabelle 1:
Invasive Therapien zur Behandlung der neurologischen Symptome der Parkinson-Krankheit (Deuschl G, et al., 2022)
Die läsionellen werden von den nichtläsionellen Therapien abgetrennt, auch wenn diese mit einem operativen Eingriff am Gehirn oder sonst am Körper einhergehen oder einen transkutanen Zugang erfordern und daher ebenfalls invasiv sind. Die am besten etablierte Behandlung ist die tiefe Hirnstimulation (THS, in der Presse oft als „Hirnschrittmacherbehandlung“ bezeichnet), bei der Elektroden gezielt an bestimmte Hirnareale gebracht, mit einem unter der Haut gelegenen Generator verbunden und dann stimuliert werden (5). Die Wirkung auf den Zielpunkt kann intraoperativ beim wachen Patienten durch elektrische Stimulation geprüft werden. Schließlich basieren die Pumpentherapien darauf, dass L-Dopa oder Apomorphin, beides potente Mittel zur Behandlung der Parkinson-Symptome, durch Infusion beim Patienten immer gleiche Spiegel haben und damit auch gleichmäßig wirken. Die jejunale L-Dopa-Behandlung (6) erfolgt durch eine dauerhafte Schlaucheinlage über eine perkutane endoskopische Gastrotomie (L-Dopa-Pumpe), die Apomorphinbehandlung erfolgt durch subkutane Dauerinfusion (7). Besonders wichtig für die Differenzialindikation ist das Wirkprofil der invasiven Therapien: Der fokussierte Ultraschall, die Thermokoagulation und die Radiotherapie können nur einseitig eingesetzt werden, die THS und die Pumpentherapien wirken dagegen bilateral. Diese Therapien sind alle mit besonderen Risiken verbunden, die Kosten dieser Therapien liegen deutlich über denen für die medikamentöse Behandlung. Die Erfolge sind aber bei gut ausgewählten Patienten deutlich stärker als die der oralen beziehungsweise transdermalen medikamentösen Behandlung. Für die THS, die Pumpentherapien, die Thermokoagulation des Pallidum und denMRgFUS gibt es ausreichend gesicherte Daten, um klare Leitlinienempfehlungen zu geben. Für die anderen Therapien ist die Studienlage so unvollständig, dass die Autoren der Leitlinie nur eine Konsensusempfehlung formulieren konnten. Vorweg sei aber gesagt, dass als Expertenempfehlung die fokussierte Gammastrahlung nicht zum Einsatz empfohlen wird, weil die Wirkung beim Patienten vor der endgültigen Gewebsläsion nicht getestet werden kann. Auch die alte RF-Thermokoagulation wird wegen des ungünstigeren Nebenwirkungsprofiles im Vergleich zu den anderen Verfahren mit wenigen Ausnahmen nicht mehr empfohlen.
Bei dieser komplexen Situation ist klar, dass die Differenzialindikation für die Behandlung eines Patienten von den Spezialkliniken getroffen werden muss, in denen neurologische und neurochirurgische Teams für die Behandlungen gemeinsam verantwortlich sind. Es werden die Ausschlusskriterien durch eine sorgfältige Abklärung geprüft und die Patienten bezüglich des individuellen Erfolgs- beziehungsweise Risikoprofiles aufgeklärt. Alle behandelnden Ärzte sollten aber mit diesen weiterführenden Möglichkeiten vertraut sein und sie im Bedarfsfalle mit den Patienten diskutieren. Man geht heute davon aus, dass nur ein Bruchteil der Patienten, die von diesen Behandlungen eigentlich profitieren könnten, auch tatsächlich in den Zentren vorgestellt werden. Hier kann die Aufmerksamkeit von Neurologen und Hausärzten viel helfen.
Leitlinie empfiehlt bei entsprechender Indikation 3 Verfahren
In Deutschland werden heute die tiefe Hirnstimulation (THS), der fokussierte Ultraschall und die Pumpentherapien eingesetzt. Die Leitlinie hat genau unterschieden, für welche Symptomkonstellationen, die dem Parkinson-Spezialisten geläufig sind, diese Therapien in Betracht kommen. Tabelle 2 listet wichtige Symptomkonstellationen auf, die mit invasiven Therapien behandelt werden können. Allgemeines Therapieziel ist die Besserung der motorischen Beweglichkeit, aber noch wichtiger ist die Besserung der Lebensqualität. Dies gelingt je nach Ausgangszustand gut bis sehr gut.
Tabelle 2:
Empfehlungen der europäischen Leitlinie „Guideline on the treatment of Parkinson‘s disease: I. Invasive therapies“ zu Indikationen invasiver therapeutischer Ansätze bei Morbus Parkinson (Deuschl G, et al., 2022).
Die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten wird im fortgeschrittenen Krankheitszustand vorgestellt, wenn die Fluktuationen und Dyskinesien ausgeprägt sind. Laut Leitlinie hat die THS in diesem Falle die am besten gesicherteWirkung. Patientinnen und Patienten ohneWirkfluktuationen sollten aber nicht operiert werden. Zwei unterschiedliche Kerngebiete können behandelt werden, das interne Pallidum oder der Nucleus subthalamicus, die nach Leitlinie ähnlich gut wirksam sind. Aber bei STN-Stimulation kann die Medikamentenmenge reduziert werden, was für die Verbesserung der Lebensqualität für viele Erkrankte entscheidend ist. Sowohl die Behandlung mit der L-Dopa- als auch die Apomorphin-Infusion werden medikamentös nicht behandelbaren Fluktuationen empfohlen. Die Verbesserung der Lebensqualität gelang aber mit der Apomorphin-Behandlung nicht. Randomisierte Vergleichsstudien zwischen den verschiedenen invasiven
Therapien gibt es nicht. Die Differenzialindikation zwischen Pumpentherapien und der THS hängt stark von der individuellen Situation ab und muss mit dem Patienten besprochen werden.
Alle bisher genannten Patientengruppen kennzeichnet, dass medikamentöse Strategien nicht mehr ausreichende Verbesserungen bringen können. Die Leitlinie empfiehlt darüber hinaus die tiefe Hirnstimulation aber auch bei Patienten, die Fluktuationen erst kurze Zeit (<3 Jahre) haben und auf L-Dopa sehr gut ansprechen. Hier kann eine deutlich bessere Lebensqualität als unter der rein medikamentösen Behandlung erreicht werden. Eine weitere häufige Indikation ist der medikamentös nicht ausreichend behandelbare Tremor, der ebenfalls eine Leitlinienempfehlung für die THS hat. Die Behandlung des Parkinsontremors mit dem FUS ist noch nicht ausreichend untersucht. Dennoch hat sich die Expertenrunde für eine klinische Empfehlung besonders bei älteren Patientinnen und Patienten entschieden, die für die DBS nicht infrage kommen. 3 wichtige klinische Situationen hat die Leitlinie mangels Daten nicht thematisiert, obwohl hier in Deutschland gelegentlich invasive Therapien eingesetzt werden:
● Erstens wird bei einer Parkinson-Erkrankung mit Demenz in der Regel weder operiert noch mit Pumpentherapien behandelt. Diese klinische Entscheidung beruht aber nicht auf soliden Studien, sondern auf pragmatischen Überlegungen. Wir wissen heute aus der klinischen Erfahrung, dass auch Erkrankte, die lange vor Auftreten ihrer Parkinson-Demenz mit der THS versorgt wurden, meistens darauf bestehen, dass die Stimulation fortgesetzt wird auch bis weit hinein in die fortschreitende dementive Erkrankung. Dies veranlasst gelegentlich im Rahmen einer Einzelfallentscheidung, bei Patientinnen und Patienten mit kognitiver Einschränkung und schwersten Dyskinesien Kompromisse einzugehen.
● Zweitens kommt es vor, dass Patienten Halluzinationen oder psychotische Symptome durch die dopaminerge Therapie entwickeln. Dies kann durch die THS wirksam behandelt werden, weil die THS dieselbe erwünschte Wirkung auf die motorischen Symptome hat wie die Dopaminergika, aber keine psychotrope Wirkung aufweist. Deshalb kann nach Stimulation die Medikamentendosis reduziert werden und die Psychose verbessert sich.
● Drittens können subtilere und meist nicht selbst vom Patienten vorgetragene psychiatrische Symptome wie krankhaftes Spielen, Essen, übermäßige Libido oder andere Störungen der Impulskontrolle bei Versagen anderer Maßnahmen ebenfalls durch die THS behandelt werden, weil auch hier die verursachenden hohen Dopaminergikadosen reduziert werden können. Behandlung ist hier also aus sehr wichtigen psychiatrischen Gründen nötig und sollte wegen der manchmal tiefgreifenden psychosozialen Folgen der Erkrankung wie Verarmung, Konflikte in der Familie und anderem unbedingt beachtet werden.
Fazit für die Praxis
● Der Einsatz von invasiven Behandlungen ist mittlerweile für verschiedene klinische Konstellationen mit guten Erfolgen möglich. Sie sind neben der medikamentösen Therapie zu einem unverzichtbaren Teil der modernen Parkinson-Behandlung geworden.
DOI: 10.3238/PersNeuro.2022.12.16.05
Dr. med. Steffen Paschen, Neurologische Klinik des UKSH, Campus Kiel,
Prof. Dr. med. Ann-Kristin Helmers, Neurochirurgische Klinik des UKSH, Campus Kiel
Prof. Dr. med. Günter Deuschl, Neurologische Klinik des UKSH, Campus Kiel,
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Interessenkonflikt: Dr. Paschen erhielt Vortragshonorare von Insighted, Medtronic, Boston Scientific, Abbvie und Drittmittel von Boston Scientific und Medtronic.
Prof. Helmers erhielt Berater- und Vortragshonorare und Reisekostenerstattung von Boston Scientific und Reisestipendien von Medtronic, Boston Scientific und Abbott.
Prof. Deuschl erhielt Beraterhonorare der Insighted Parkinson Conferences und vom DSMB.
Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit5022
Schwerer Morbus Parkinson
Leitlinie definiert Indikationen für invasive Interventionen
Paschen, Steffen; Helmers, Ann-Kristin; Deuschl, Günter
Quellennachweis Literatur:
1. Deuschl G, Antonini A, Costa J, et al.: European Academy of Neurology/ Movement Disorder Society – European Section guideline on the treatment of Parkinson‘s disease: I. Invasive therapies. Eur J Neurol 2022; 29: 2580–95.
2. Hassler R, Riechert T, Mundinger F, Umbach W, Ganglberger JA: Physiological observations in stereotaxic operations in extra-pyramidal motor disturbances. Brain 1960; 83: 337–50.
3. Duma CM, Jacques DB, Kopyov OV, Mark RJ, Copcutt B, Farokhi HK: Gamma knife radiosurgery for thalamotomy in parkinsonian tremor: a five-year experience. J Neurosurg 1998; 88: 1044–9.
4. Elias WJ, Huss D, Voss T, et al.: A pilot study of focused ultrasound thalamotomy for essential tremor. N Engl J Med 2013; 369: 640–8.
5. Limousin P, Pollak P, Benazzouz A, et al.: Effect of parkinsonian signs and symptoms of bilateral subthalamic nucleus stimulation. Lancet 1995; 345: 91–5.
6. Olanow CW, Kieburtz K, Odin P, et al.: Continuous intrajejunal infusion of levodopa-carbidopa intestinal gel for patients with advanced Parkinson’s disease: a randomised, controlled, doubleblind, double-dummy study. Lancet Neurol 2014; 13: 141–9.
7. Katzenschlager R, Poewe W, Rascol O, et al.: Apomorphine subcutaneous infusion in patients with Parkinson’s disease with persistent motor fluctuations (TOLEDO): a multicentre, double-blind, randomised, placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2018; 17: 749–59.